Es ist schon viel gesagt worden über Trauer und wie wir sie leben können. In meinem Beratungsumfeld geht es oft darum, dass Menschen trotz eines schweren Schicksalsschlages weiter funktionieren möchten, arbeiten gehen möchten, oder für ihre Angehörigen „stark“ sein wollen. Das Dilemma besteht darin, dass die Traurigkeit und die Verzweiflung über den Verlust groß ist, Menschen gleichzeitig stabil und zuversichtlich bei Trauer und Krise bleiben wollen. Sie fragen sich, wie sie in schweren Zeiten besonnen handeln können.
Was ist Trauer?
Dazu dürfen wir uns vielleicht noch einmal darauf besinnen, was Trauer eigentlich ist. Mit diesem Begriff ist nicht nur die große Traurigkeit zu verstehen, die viele Trauernde überfällt. Trauer ist zu verstehen als die Möglichkeit, sich an Verluste anzupassen. Sie ist der Prozess, der auf allen Seinsebenen gelebt werden darf, um Verluste ins Leben zu integrieren.
Trauer entsteht nicht nur nach dem Tod eines geliebten Menschen, sie ist der Not-wendende Prozess nach vielfältigen Verlusten. Solche Verluste entstehen durch jedwede Lebensveränderung, wie zum Beispiel Arbeitsplatzverlust, Trennung, Krankheit, Verrentung, und zurzeit deutlich zu spüren, durch Beschränkung der individuellen Ausgangs und Beschäftigungsmöglichkeiten, auch durch verpasste Gelegenheiten.
Neulich am Telefon sprach ich mit einer Mutter, deren Tochter vor einigen Jahren verstorben war und sie regte sich über den inflationären Gebrauch des Begriffes Trauer auf. Menschen, die nicht wirklich einen toten Angehörigen zu beklagen hätten, würden doch nicht trauern. Der Verlust des regulären Schulalltags und das mangelnde soziale Leben seien doch kein Anlass zur Trauer meinte sie. Ich sehe das ein bisschen anders. Ganz bestimmt gibt es schwere und leichtere Verluste. Aus meiner Sicht ist der Weg, mit diesen Verlusten in den Frieden zu kommen jeweils der gleiche, nur die Intensität und die Dauer sind unterschiedlich.
Deshalb meine ich: Menschen, die es geschafft haben, einen schweren Verlust in ihr Leben zu integrieren sind Vorbilder. Sie zeigen uns, wie es möglich ist, trotz Kummer, Sorgen, Hoffnungslosigkeit den Weg in ein lebenswertes Leben zu finden.
Wir dürfen lernen zu verstehen: Es IST passiert, es ist MIR passiert, ich kann DAMIT gut weiterleben.
Was bedeutet der Verlust, die Krise für uns?
Der Verlust stellt eine große Krise in unserem Leben dar, die „alles über den Haufen wirft“, „uns den Boden unter den Füßen wegzieht“, „Eine große Lücke reißt“.
Das Fundament unseres Lebens, unsere Säulen geraten ins Wanken.
Wir dürfen uns in kleinen Happen dem Schmerz stellen, und andererseits alles tun, um unser Weiterleben zu ermöglichen.
Dies kann man sich ungefähr so vorstellen, als wenn man am Rande des Trauersees stehen würde und sich vornehmen würde, im kalten Wasser schwimmen zu lernen. Zunächst würde man den großen Zeh hineinstecken und sich wieder ans sichere Ufer zurückziehen. Nach und nach könnte man immer mehr Körperteile ins Wasser bringen, unterbrochen von Aufenthalten am sicheren, warmen Ufer. Man würde so lange hin und herpendeln, bis es gelingt, im See der Trauer sicher zu schwimmen, alle Gefühlswellen gut nehmen zu können und jederzeit sicher ans trockene Ufer zurückzukommen. Wenn man diese Fertigkeit erreicht hat, kann man sagen: Die Trauer ist integriert, ich kann damit gut weiterleben. Ich kann alle Gefühlsstürme überstehen, ohne unterzugehen, ich habe keine Angst mehr davor, ich muss nichts meiden.
Wie kann es also gelingen, dass wir stabil und zuversichtlich bei Trauer und Krise bleiben und besonnen handeln, gleichzeitig unseren Gefühlen gerecht werden?
Dazu habe ich in den vorigen Blogartikeln schon mit der Polyvagaltheorie erläutert, wie unser Nervensystem funktioniert und möchte dies jetzt mit dem Begriff verknüpfen, den wir schon aus der Trauerbegleitung kennen: „Ressourcenaktivierung“
Um mit den heftigen Gefühlen, die schwere Verluste auslösen, umgehen zu können, um sie nicht vermeiden zu müssen, stärken wir unsere innere Mitte. Dies gelingt, wenn wir wahrnehmen können, welche Stärken wir haben, was wir gut können oder konnten, wie wir früher schon einmal Probleme lösen konnten. Es ist von großer Bedeutung, viele Dinge zu erkunden, mit denen wir unser Wohlbefinden steigern können. Dies sind meistens Aktivitäten die unseren ventralen Vagus, also den grünen Bereich stärken und aktivieren….
Alles, was unsere Grundbedürfnisse nährt, also unsere Säulen auf denen wir stehen stärkt, aktiviert und stärkt den Nervus Vagus, (grüner Bereich)
Trauer und Krisen lösen Stress aus und unser Sympathikus ist aktiviert, wir bewegen uns im „gelben Bereich“ dies äußert sich in ständigen „Flucht und Kampfverhalten“ wie Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, Überaktivität, Wut und Aggression, erhöhter Blutdruck, wir sind auf der ganzen Linie übererregt, angespannt, Stresssymptome werden sichtbar.
Stressreduktion bringt uns wieder hinab in den grünen Bereich:
- Alles, was Sicherheit und Wärme ausstrahlt
- vertraute, sorgende Menschen
- Beruhigende, liebevolle Worte
- Schimpfen und klagen, Dampf ablassen
- Gedämpftes Licht, ruhige Musik
- Wohlige Düfte
- Wärme, Körperkontakt, sanfte Massage
- Ein warmes Getränk, warmes Bad
- Sanfte Bewegung oder schweißtreibender Sport
- Betonte Ausatmung
- Erdende, oder kreative Tätigkeiten
Wenn eher die Hoffnungslosigkeit überwiegt, der dorsale Vagus aktiviert ist, fühlen wir uns ohnmächtig, hilflos, antriebslos und entwickeln eher depressive Symptome, werden gefühllos, neigen zur Dissoziation, stellen uns ab. Wir bewegen uns in der blauen Zone. Weinen, Müdigkeit, Kraftlosigkeit, Schmerzen, Schutzbedürftigkeit stehen im Vordergrund.
Aktivierung der eigenen Stärken hebt die Energie wieder in den grünen Bereich:
- Alles, was ermutigt und Kraft bringt, Hilfe zur Selbsthilfe
- Die Erfahrung, dass etwas veränderbar ist
- Ermutigung, selbst mitzugestalten
- Aushalten
- Weinen lassen
- Dasein, Präsenz
- Aktivierung in Form von Bewegung (an der frischen Luft)
- Routinen, Strukturen, Aufgaben, Rituale
- Körper spüren, klopfen, gehen, laufen, Gartenarbeit
Grundvoraussetzung, dies umsetzen zu können ist für Betroffene und Begleiter die innere Achtsamkeit für die eigenen Gefühle und Bedürfnisse. Vielleicht mögen Sie mal auf Entdeckungsreise gehen?
Finnische Forscher haben mit wissenschaftlichen Methoden belegt, was in traditionellen körperorientierten und achtsamkeitsbasierten Verfahren schon lange bekannt ist: Gefühle sind mit Körperempfindungen verknüpft. Dies bedeutet, dass wir Gefühle im Körper verorten können, anders herum ist es also möglich, aufgrund von Körperempfindungen auf Gefühle schließen zu können. Wie für jede Fertigkeit, benötigen wir dafür Aufmerksamkeit und Übung: Gerne möchte ich Ihnen an dieser Stelle einige Übungen zur Gefühlswahrnehmung vorstellen:
Zunächst geht es darum, aufmerksam mit den eigenen Sinnen umzugehen:
- Welche Geräusche kann ich in diesem Moment hören? (Vögel, Wasserrauschen, ein tropfender Wasserhahn, Autos, Stimmen, der Fahrstuhl…)
- Was kann ich riechen? Das Parfum meiner Kollegin, das Leder der Sessel, Essensgerüche, Blumen in der Vase oder im Garten, frisch geschnittenes Gras,….
- Wenn Sie trinken oder essen: Nehmen Sie den Geschmack ganz intensiv wahr und lassen Sie die Nahrung länger in Ihrem Mund, kauen und schlucken Sie bewusst!
- Wie viele blaue, rote oder gelbe Gegenstände sehe ich in meinem Umfeld? Welche Farben und Formen entdecke ich noch?
- Wie fühlt sich der Pullover, die Hose, die Bluse oder das Hemd an? Die Schreibtischoberfläche? Der Stuhl? Weich oder kratzig? Warm oder kalt? Rau oder glatt? Feucht oder trocken?
Es tut gut, mit den verschiedenen Sinneswahrnehmungen zu spielen. Das funktioniert auch gut im Alltag, etwa beim Autofahren (Wie fühlt sich gerade das Lenkrad an?), beim Einkaufen, in einem (langweiligen J) Meeting, als kurze Auszeit im Büro, auch in traurigen Momenten, oder wenn man von Gefühlen überrollt wird, können Sie sich so wieder zurück ins Hier und jetzt holen. Sie sind herzlich eingeladen, es jetzt kurz einmal auszuprobieren:
Was hören, riechen, sehen, schmecken, tasten Sie gerade jetzt?
Dann geht es um die körperliche Aufmerksamkeit:
- Was spüre ich, wenn ich atme: wo bewegt sich mein Körper, wo fühle ich einen Luftstrom? In der Bewegung des Brustkorbes? An den Nasenlöchern?
- Wie sitze oder stehe ich: aufrecht, gebeugt, steif, locker,….?
- Was spüren die Füße, die Unterschenkel, der Po, der Rücken, die Arme, der Nacken, der Kopf?
- Gibt es Anspannungen? Was ist locker?
Sobald Sie Ihre Sinne und Körperwahrnehmungen ein wenig geschärft haben, wird es Ihnen leichter fallen, Achtsamkeit für Ihre Gefühle zu entwickeln:
- Welche Gefühle nehme ich wahr: Ärger, Langeweile, Traurigkeit, Wut, Angst, Leichtigkeit, Freude, ….
- Wo und wie kann ich diese Gefühle im Körper spüren? Wie fühlen sich Beine, Becken, Bauch, Brust, Nacken, Rücken und Arme an? Ist es warm, heiß, kalt, fröstelig, kribbelnd, wohlig?
Je genauer Sie sich und ihren Körper bei der Empfindung von Gefühlen beobachten, desto einfacher wird es, die Gefühle und damit sich selbst kennenzulernen.
Wenn Sie dann einordnen, ob Sie eher übererregt (gelb) oder untererregt (blau) sind, können Sie entsprechend gegensteuern und so die innere Ruhe, Ausgeglichenheit, Handlungsfähigkeit und Denkfähigkeit wiederherstellen. Der grüne Wohlfühlbereich, die Mitte, wird stark und präsent
Es stellt sich Wohlbefinden im Flow von Denken, Handeln, Emotion und Wahrnehmung ein, trotz und mit allem Schweren, was zu tragen ist.
Passende Körperübungen finden Sie
Sobald wir in der Lage sind, unser Nervensystem und damit uns selbst in den grünen Mittebereich zu manövrieren, können wir aus diesem Raum des Wohlbefindens heraus kluge Entscheidungen treffen, viele Aspekte bedenken, für uns und unsere Mitmenschen gut sorgen, unser Leben verantwortungsvoll und reichhaltig gestalten. Das Zusammenleben in der Familie und mit Freunden und Kollegen wird klarer und freudvoller, das Leben intensiver und bunter.